Messerstecher sitzt in Untersuchungshaft
Dietmar Bebber, 18.01.2012

Protest am Montagabend am Tatort in der Kavalierstraße. (FOTO: SEBASTIAN)
VON ANNETTE GENS
Es herrscht Erleichterung in der Stadt, dass der Fußballer und Jugendwart der ASG Vorwärts Dessau wieder auf die Füße kommen wird und die Justiz inzwischen den mutmaßlichen Täter vorläufig hinter Schloss und Riegel bringen konnte. Das Amtsgericht hatte am Dienstagmittag auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen einen 28 Jahre alten Mann aus dem Senegal erlassen. Der Ermittlungsrichter sah den Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung erfüllt und ordnete für den Asylbewerber Untersuchungshaft an.
Der Beschuldigte habe sich vor dem Richter zu den Vorwürfen geäußert, sagte Oberstaatsanwalt Christian Preissner gegenüber der MZ, ohne inhaltlich näher darauf eingehen zu wollen. Die Ermittlungen würden erst am Anfang stehen. Allerdings hätten die ersten Zeugenvernehmungen den bisher angenommenen Tathergang untermauert. Demnach wollte der 29-jährige Sportler einem 54 Jahre alten Passanten Hilfe leisten, als sich dieser mit dem Asylbewerber um sein Handy stritt. Weshalb der Senegalese daraufhin so plötzlich ein Messer gezogen und zugestochen hat, ist unklar. Unklar ist auch, warum der mutmaßliche Täter anschließend nur wenige Meter geflüchtet war, er bei seiner vorläufigen Festnahme aber außer Rand und Band geriet, so dass ihn gleich mehrere Polizeibeamte festhalten mussten. Das sei schon ein auffälliges Verhalten, gesteht Preissner und räumt ein, dass die Staatsanwaltschaft auch prüfen werde, ob zu den weiteren Ermittlungen ein Psychiater hinzugezogen werden müsse. Noch sei auch die Frage offen, ob Alkohol oder Drogen bei der Tat eine Rolle gespielt haben könnten. Auch das werde untersucht.
Während die Ermittlungsbehörden die ersten Pflöcke gesetzt haben, wurde der Montag in Dessau auf besondere Weise reflektiert. Innerhalb weniger Stunden fanden 400 Menschen den Weg auf die Straße. Anhänger des Fußballvereins, Kinder und Jugendliche, aber auch "Personen, die dem rechten Spektrum zugeordnet werden können", wie Polizeipräsident Kurt Schnieber sagt. So waren in diesem Demonstrationszug auch ausländerfeindliche Parolen zu hören und verschiedene Nazi-Akteure zu sehen, u.a. Mitorganisatoren der Aufmärsche, die die Bombardierung Dessaus im März 1945 durch die Alliierten zum Anlass nehmen, um ihr Geschichtsbild zu vermitteln.
Laut Schnieber war grundsätzlich über soziale Netzwerke wie Facebook oder SMS-Ketten zur Demo mobilisiert worden. Auch Rechtsextreme, das belegen MZ-Recherchen, hatten im Internet dazu aufgerufen. Dass die Situation missbraucht werden könnte, das befürchtet die Landtagsfraktion der Linken und erinnert daran, dass in sozialen Netzwerken auch im Nachgang zu den Ereignissen des 7. Jahrestages des Todes von Oury Jalloh bereits eine erkennbare Aufheizung der Stimmung zu verzeichnen gewesen sei. Umstände und Tathergang müssten nun schnell und umfassend geklärt werden, fordern die Linken.
"Selbstverständlich spielt weder die Herkunft des Opfers noch die Herkunft des Täters eine Rolle, bei keinem Verbrechen. Menschen mit Migrationshintergrund sind weder die besseren noch die schlechteren Menschen", sagt die Landtagsabgeordnete Cornelia Lüddemann (Bündnis 90 / Grüne) und wendet sich gegen die Instrumentalisierung dieser Gewalttat durch die rechte regionale Szene. "Wir nehmen die Situation sehr ernst", sagt Polizeipräsident Schnieber auf die latent aufgeladene Stimmung angesprochen. Die Polizei bemühe sich um Deeskalation.
Auch Stadtoberhaupt Klemens Koschig ruft zur Besonnenheit auf, denn ein politischer Hintergrund der Tat, die von einem Schwarzafrikaner ausging, liege nach derzeitigem Kenntnisstand nicht vor. "Unser aller Hoffnung sollte sich jetzt auf die baldige Genesung des Opfers richten, das mit Zivilcourage einem in Bedrängnis Geratenen zur Seite sprang."
Dessau-Roßlau
Brandanschlag auf Polizeirevier


Die Straßen rund um das Polizeirevier wurden von der Polizei am Morgen weiträumig abgeriegelt. Experten des Landeskriminalamtes waren mit der Spurensicherung beschäftigt. «Wir ermitteln derzeit in alle Richtungen», betonte der Polizeisprecher.
Erst vor rund zwei Wochen war es am Rande einer Gedenkfeier für Oury Jalloh in Dessau-Roßlau zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Menschenrechtsaktivisten gekommen. Auslöser war die Beschlagnahmung eines Plakats, auf dem der Spruch «Oury Jalloh, das war Mord» stand. Es gab mehrere verletzte Demonstranten, ein Dezernatsleiter der Polizeidirektion Ost wurde daraufhin von Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) versetzt.
Oury Jalloh war am 7. Januar 2005 bei einem Brand in einer Dessauer Polizeizelle ums Leben gekommen. Die genauen Todesumstände gelten bis heute als ungeklärt. Der Asylbewerber aus Sierra Leone soll das Feuer selbst entfacht haben, obwohl er an Händen und Füßen gefesselt war.
Quelle:Mitteldeutsche Zeitung - online